
In der 6. Sitzung näherte sich die Seminargruppe dem Spannungsfeld von Wein und Kulturerbe an.
Im September 2019 reichte das Deutsche Weininstitut bzw. die Deutsche Weinakademie, eine Institution die sowohl das Weinmarketing als auch die akademische Wissensproduktion über Wein prägt, einen Antrag bei der Organisation der Vereinigten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) ein, in dem „die deutsche Weinkultur“ als Immaterielles Kulturerbe eingestuft werden sollte.
Demnach sollen Praktiken des Gestaltens, Pflegens und des Weiterentwickelns von Weinkultur gewürdigt werden. Dies schließt Weinproduktion und Weinvertrieb, Weingästeführer*innen, Dozent*innen und Mitglieder*innen von Weinbauverbänden, „Weinbruderschaften“ und sonstige weinkulturelle Institutionen mit ein. Darüber hinaus betrifft dies alle Weinkulturschaffende bzw. Träger*innen der „deutschen Weinkultur“.
Diskutabel wären an dieser Stelle der Kultur- und Nationalbegriff und das Wechselverhältnis zwischen relevantem Weinwissen, Materialitäten und Weinhoheiten aus den Weinkulturen. Wir stellten uns die Frage, ob Konsument*innen von Wein auch als Mitglieder*innen dieser Weinkulturen zählen würden.
WeinWissen als schützenswertes Wissen?
Generell wird schützenswertes menschliches Wissen und Können, welches nicht fassbar ist, sich jedoch medialisiert und materialisiert, als Immaterielles Kulturerbe eingestuft. Nach UNESCO-Konvention sind dies Bräuche, Darstellungen, Fertigkeiten und Ausdrucksformen und ihre dazugehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturelle Räume, Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen. Ebenso könnte der Blick auf (Fach)Wissen und Praktiken im Umgang mit Natur, d.h. (traditionelle) Handwerks- und Kulturtechniken gerichtet werden.
Wir verstehen Kulturerbe als Praxis (doing cultural heritage). Dies schließt verschiedene Praktiken mit ein. Das Konzept des Immateriellen Kulturerbes birgt jedoch Risiken und Gefahren: Wissen könnte demnach gelabelt und an spezifische Orte und Gruppen gebunden bzw. festgeschrieben werden. Eine zunehmende Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Raumes motiviert Tourismus und die Folklorisierung bzw. Festivalisierung/Eventisierung (u.a durch Weinfeste) von und in Regionen. Die benannten Anbaugebiete befinden sich in einem Spannungsfeld von Traditionen und Veränderungsprozessen durch Mobilität, Technisierung und Innovationen im Weinbau.
Unserer Meinung nach befinden sich Wein-Kulturen und Kulturerbe in einem relationalen Mengengelage. Weinkulturen sind demnach ein offenes Netzwerk aus Akteur*innen, Materialitäten und Bedeutungen. Regionalität und geografische Herkunftsangaben von Wein, Lebensstile, Gloablisierungsprozesse (oder eher Glokalisierungsprozesse), politische Diskurse auf EU-Ebene, Inszenierung und Repräsentationsformen von, mit und durch Wein wirken in Beziehungsgeflechten aufeinander ein.
Kultur- bzw. gesellschaftskritische Perspektiven nehmen die Verherrlichung von Alkoholkonsum ebenso in den Blick, in dem gesundheitsschädliche Folgen und Risiken betont werden, welche in den Inwertsetzungsprozessen, wie sie durch das Label Kulturerbe propagiert werden, vernachlässigt werden. Darüber hinaus markiert die Einstufung als Kulturerbe regionale, soziale und kulturelle Grenzen. Wie kann ein verantwortungsvoller Konsum von Wein angestoßen werden, wenn Traditionen für Wirtschaftslogiken inszeniert werden? In welchem Spannungsverhältnis stehen lokale Akteur*innen der Weinkulturen, ihre Existenzen und der Wille zum Rausch? Welche stereotypischen Zuschreibungen von Regionen und Identitäten sollten reproduziert werden, um traditionelle Wissensbestände zu erhalten?
