
Habitus, Lebensstil, Kapitalsorten
Die grundlegende These für unsere Diskussion in der 7. Sitzung stammt von John Overton und Warwick Murray. In ihrem Artikel “Class in a Glass” zeigen sie auf, wie der Weinkonsum und die Weinproduktion soziale Ungerechtigkeiten produziert und bestehende Ungleichheiten unterstützt. Um diese marxistische Kritik auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive einzuordnen, nutzten wir die Konzepte des Kultursoziologen Pierre Bourdieu (1930-2002). So rekapitulierten wir Konzepte wie Habitus, Lebensstil, Geschmack und das Akkumulieren von verschiedenen Kapitalsorten, um anschließend Verbindungen zwischen Wein auf der Alltagsebene und strukturellen Bedingungen erörtern zu können.
Welche Kapitalsorten sind notwendig, um an der Weinwelt zu partizipieren? Und kann wirklich jede*r Weinexpert*in werden? Darüber hinaus diskutierten wir Fragen, inwieweit WeinWissen sozialisierbar ist, in wieweit WeinWissen am situativen Impression Management beteiligt ist und in wieweit WeinWissen inszeniert werden kann.
Akteur*innen, welche in Weinanbaugebieten aufwachsen, haben ein anderes, womöglich vertrautes Verhältnis zum Wein, da dieser im Stande ist, die dortige Natur- und Kulturlandschaft zu prägen. Dabei ist Wein trotz geschützter Herkunftsangaben in globale Netzwerke und Ökonomien eingebettet und von Global Player*innen, rechtlichen Verordnungen und kapitalistischen Marktlogiken abhängig. Um diese Sphären zusammen zu denken, benutzten wir den Begriff der Glokalisierung.
Wir halten fest, dass der Geschmack am Wein aus ganz verschiedenen Richtungen sozial konstruiert ist. Einerseits schafft die Weinwerbung Bedürfnisse, die sich die Konsument*innen vorher nicht vorstellen konnten und andererseits trägt die Sozialisation zu erforderlichen Sprachgebräuchen, Praktiken und Umgängen bei.
Das romantische Bild der Weinlese ist nicht mehr zeitgemäß. Technische Innovationen und Effekte der Globalisierung führen zu einer Massenproduktion. Die Zugänge zu Wein (bspw. Supermarktregal) sind niedrigschwellig und mögen demokratischer erschienen. Dennoch geht von dem Wein je nach sozialer Situation eine enorme inkludierende oder exkludierende Macht aus. Auf der anderen Seite existieren traditionelle Handwerks- und Kulturtechniken, welche von Akteur*innen und Institutionen bewahrt werden sollen. Dementsprechend beeinflussen Konzepte von Nachhaltigkeit sowohl den Weinbau selbst als auch seine Praktiken.

Unserer Meinung nach spielt WeinWissen ebenso in Distinktionsprozessen eine Rolle, in denen auch Machtverhältnisse sichtbar werden. Darüber hinaus schreibt sich WeinWissen in Körperpraktiken ein. Beispielsweise ist das „angemessene“ Halten eines Weinglases oder die Art und Weise des Probierens und Schmeckens erlernbar. So werden nicht nur die sprachlichen Äußerungen über Wein normiert, sondern auch vom Körper ausgeführte Praktiken.
