
Bruno Latours (1947-) Ideen zur Akteur-Netzwerk-Theorie bieten für die studentischen Forschungen fruchtbare Perspektiven an. Wenn wir in unseren Diskussionen von der Handlungsmacht (agency) des Weines sprechen und diese in ein symmetrisches Verhältnis zum Menschen setzen, ist der nächste Schritt, Wein als aktiven sinnstiftenden Akteur anzuerkennen und ihn in den Mittelpunkt des Netzwerks zu stellen.
Politisierung von Wein?
Mit Hilfe des Begriffs “culinary diplomacy” wird in den Politikwissenschaften die Wichtigkeit dargebotener Speisen und Getränke im Kontext von diplomatischen Beziehung hervorgehoben. Anhand der Weinauswahl bei Staatsbanketten des Bundespräsidenten versucht der Autor Knut Bergmann, den Zustand der diplomatischen Beziehungen in der Bundesrepublik nachzuzeichnen. In unserem Seminar wurde Bergmann kritisiert, da er nicht in der Lage war, seine eigene Position kritisch zu hinterfragen und Wein als universell verständlich annahm. Doch vorausgesetzt eine Demokratie benötigt eine “Vermittlung durch Symbolisches oder Zeremonielles (wobei gilt “Repräsentation heißt Gegenständlichmachen”), fragten wir uns, welche Dinge über die Gesellschaft denn über den Wein vermittelt werden?
Für die politische Inszenierung von Wein fanden wir auch Belege im Hamburger Stadtraum: Der Wein des Hamburger Weinberges an den Landungsbrücken wurde nur an Senator*innen und Gäst*innen der Stadt verschenkt, ehe er für Baumaßnahmen eingestampft wurde. Es gibt jedoch Hoffnung: nach dem Umbau soll der Weinberg, dessen Reben von Winzer*innen aus Süddeutschland gestiftet wurden, wieder zum Leben erweckt werden.
Die Sitzung wurde durch einen Exkurs zur Visuellen Anthropologie unterstützt. Diskurse mit und um den Wein wurden im Nationalsozialismus auf Plakaten inszeniert. Der Trend, Lebens- und Nahrungsmittel symbolisch auf Wahlplakaten zu politisieren, um sich von anderen Regionen abzugrenzen, hält bis heute an.
Darüber hinaus regelt das deutsche Weingesetz den Anbau, die Produktion und den Konsum von Wein im deutschsprachigen Raum. Eine kulturanalytische Auseinandersetzung könnte hier Kultur- und Naturbegriffe sowie Fragen nach Regionalität und Identitität verhandeln. Als gültig anerkannte und materialisierte Regelsysteme beeinflussen die Normierungen globale Weinökonomien, welche auf der menschlichen Alltagsebene Berufsbilder, Praktiken und Institutionen prägen.
